Ich wünschte, wir wären schon weiter…

Die „neue“ 9001 ist inzwischen 4 Jahre alt. Immer wieder hört und liest man über deutlich mehr Freiheiten in der Dokumentation und wunderbare Ideen, diese zu nutzen: Agil inspirierte Kreativität schafft neue Dokumentations-Praktiken, wie Post its am Fenster, Kanban-Boards als Wandschmuck und Software, diverse Apps für schnelle Foto- und Videoprotokolle, die ermutigen und sogar Spaß machen….  Echte Chancen für ernstgemeinte QAU-Ziele, wie ich in diesem BLOG-Artikel vertieft habe. !

Unglücklicherweise sieht der Alltag in Managementsystemen oft immer noch anders aus, wie ich in einem Coaching erfuhr. 

So entsteht Frust

Mein Coachee arbeitet in einem Bereich, der aktuell in´s QMS integriert wird. Es existieren einige wenige Vorgabedokumente, die gelebte Praxis abbilden – natürlich im QM-Layout.

Kurz vor der endgültigen Veröffentlichung des jüngsten Dokumentes wurden neue Vorlagen kreiert und nun heißt es plötzlich:

  • Alle bisherigen Dokumente sind in´s neue Layout zu übertragen.
  • Für die Grafiken und Prozessdarstellungen (Flowcharts) ist ab sofort die kürzlich beschaffte Software zu verwenden. Alte Grafiken sind neu zu erstellen.

Kommt Ihnen bekannt vor? Mir auch!

Der Kunde –übrigens überaus intelligent, engagiert und vielbeschäftigt -, ist empört:

„Der Inhalt ist aktuell, übersichtlich und gut nachvollziehbar dargestellt. Wozu diese Arbeitsbeschaffungsmaßnahme? Das ist mal wieder typisch QM!!!!……“

Natürlich hatte auch niemand das neuen Layout vorgestellt und diskutiert. Es wurde einfach „vorgesetzt“ und fertig.

„Die haben doch keine Ahnung, wie wir hier arbeiten und was wir brauchen. Wenn wir unseren Mitarbeitern solche Dokumente vorlegen, schalten die gleich ab. – Und dann diese komischen Überschriften… Wir erarbeiten die Vorgaben mit den ausführenden Kollegen gemeinsam und wenn die dadurch den Sinn und Zweck nicht verstanden haben, hilft uns der Zweizeiler im Dokument auch nicht mehr (…)“

Vermutlich hat „das QM“ hier mit seiner Herangehensweise einen bleibenden Eindruck hinterlassen…

Auf der sicheren Seite – Gute Gründe für bewährte Praktiken

Bei alledem kann ich mir gut vorstellen, was die QM-Kollegen bewegt  – bzw. eben nicht. Eine Hypothese (schließlich kenne ich die Umstände nicht im Detail) wäre:

Sie wollen einen guten Job machen! – Die Frage ist nur, für wen?

Der eigentliche Auftrag

Für viele Stäbe und Beauftragte hat das Ziel „Erhalt des Zertifikates“ eine sehr hohe – wenn nicht die höchste – Priorität. Festgelegt in der Funktionsbeschreibung oder als wiederkehrende Zielsetzung – Basis für Anerkennung  und ggf. sogar Prämien.

Da leuchtet ein, dass „Erfolgsrezepte“ aus der Vergangenheit fortwirken: Dokumente für die Dokumentenprüfung, ihr Vorhandensein, ihre Form und Freigabe waren immer schon ein wichtiges Thema. Dazu da, Greifbareres vorzulegen, dem externen Auditor Arbeitsfähigkeit und Qualitätsbewusstsein zu demonstrieren…

Wirksame „alte“ Geschichten

Wer kennt sie nicht – die Anekdoten über externe Audits, die dem gesunden Menschenverstand spotten? Nach denen man sich fassungslos an den Kopf fasst und wieder ein gutes Argument hat, „das ganz Theater“ nicht ernst zu nehmen? Geschichten über externe Besucher, die sich intensiv den Kopf- und Fusszeilen widmen, das veraltete Datum oder die fehlende Unterschrift mit geschultem Blick erfassen und ihnen ihre volle, konstruktiv-kritische Aufmerksamkeit widmen… ? Ich habe im Verlauf meiner Coachings und Beratungen diverse Varianten gehört. Offensichtlich werden diese Geschichten besonders gern weitererzählt und halten sich hartnäckig im Unternehmensgedächtnis – mit entsprechender Wirkung auf Akzeptanz und Motivation ….

Hat das Zertifikat oberste Priorität, wird das vermeintlich erfolgreiche Handlungsmuster eben fortgesetzt.

Wozu unnötig Risiken eingehen? Solange diese Handlungsmuster sich „bewähren“ im Audit…

Wie wäre es mit neuen Geschichten?

Kürzlich hörte ich (so oder so ähnlich 😉 ) eine ganz andere Geschichte, die von einem IM-Beauftragten berichtet wurde:

Eine Führungskraft im Überwachungsaudit kritisiert einen dokumentierten Prozess: „So eine unsinnige Vorgabe … Das machen wir doch nur, weil es in der Norm steht!“

Daraufhin holt der Auditor die Norm raus und sucht… Eine entsprechende Passage lässt sich nicht finden – allerdings eine andere, die in die gleiche Richtung weist. Diese ist allen klar – Sinn und Nutzen für den Bereich (und die Kunden!)  liegen auf der Hand.

Nachdem hier Einigkeit herrscht, berichtet die Führungskraft stolz: „Genau da gab im letzten Sommer ernsthafte Probleme. Deshalb wird dieses Thema inzwischen in der Schichtbesprechung geklärt. Da sitzen alle entscheidenden Personen zusammen. Ach ja (mit einem Schmunzeln auf den Lippen), die wird übrigens am Flipchart protokolliert, fotografiert und alle Teilnehmer gemailt!“  Der Auditor nickt anerkennend, läßt sich solch eine Mail zeigen und geht zum nächsten Thema über (…)

Ich würde mir wünschen, dass zukünftig mehr Geschichten dieser Art die Runde machen!

Agilität im Kleinen – Selbstorganisation ermöglichen

Warum? Ein Erfolgsfaktor der Agilität ist es, Selbstorganisation zu inszenieren und konsequent zu fördern. Was in der Motivationspsychologie schon lang bekannt ist, wird hier auf die betriebliche Zusammenarbeit übertragen: Autonomes (selbstbestimmtes) Handeln, sich beteiligen und gemeinsam engagieren bringt Erfolgserlebnisse, erfüllt mit Stolz und Energie.

Managementsysteme (für die „Beteiligung“ eigentlich ein alter Hut ist) bauen allerdings primär auf Pläne und Regeln – durchdachte enge Grenzen, die wenig Spielraum lassen für eigenständiges Denken und Handeln.

Klare, orientierende Rahmenbedingungen mit unverhandelbaren Eckpfeilern sind absolut notwendig! Keine Frage! Allerdings: Qualität, Umweltschutz, Arbeitssicherheit werden nicht von Stabstellen „gemacht“, sondern im gesamten Unternehmen. Das gilt es auch, in der Zusammenarbeit erlebbar zu machen. Eine sehr wirkungsvolle Möglichkeit dazu bietet das Thema „Dokumentenlenkung“.

Wie wäre es also, die Regeln um Freiräume zu ergänzen?

Es ist so viel wirksamer, zusammen statt neben- oder gegeneinander zu arbeiten – und das geht in Freiräumen nachweislich besser!

Ausserdem lässt sich so mit viel Wertschätzung deutlich machen:
Hier gibt es (Führungs-)Entscheidungen, die an anderer Stelle besser aufgehoben sind!

 

PS: Dieses Gedankenexperiment dürfte auch für internen Auditoren interessant sein, die sich nicht als Prüfer, sondern als Partner sehen…

Am Rande angemerkt:
Ich argumentiere hier insbesondere aus Sicht der agil inspirierten Motivationspsychologie.
Das Ziel: funktionierende Managementsysteme – aufgebaut auf breiter, realitätsnaher Expertise.
Das Thema Rollenklarheit bei der Erstellung von Dokumenten lässt sich allerdings auch vor rechtlichem Hintergrund begründen, der nach meiner Erfahrung in Arbeitssicherheit und Umweltschutz gängiger ist als in der Qualität:

Weisungsermächtigte Führungskräfte haben bei der Zuteilung von (gesetzlich inspirierten) Aufgaben sogenannte Delegationspflichten!
Klare, aussagefähige und verständliche Anweisungen (Prozesse, Arbeitshilfen) sind ein Teil davon (#indirekte Führung). Diese liegen in der Verantwortung der Führungskräfte. (#Anweisungspflicht, #Instruktionspflicht, #Organisationsverschulden, #Delegationspflichten)

gute Führung und Zusammenarbeit im ManagementsystemÜbrigens:

Mehr Details und Hintergrundwissen zu Motivation, Dlegationspflichten und Führung finden sich speziell für „Managementsysteme“ hier.
Schauen Sie doch mal rein 😉

(Link zum pdf-Auszug auf der Seite des Verlages)

 

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