Manche Geschichten muss man einfach weitererzählen… 😊
Immer mal wieder habe ich die Freude, externe Auditoren zu treffen, die ihren Job mit Herz und Engagement machen. Sie sind sich bewusst, wieviel Einfluss sie auf Wirksamkeit und Akzeptanz des von Ihnen geprüften Managementsystems haben und handeln danach. So geschehen in der letzten Woche, als mir bei einem kollegialen Austausch folgende Geschichte präsentiert wurde.
Sie trug sich zu in einem kürzlich durchgeführten Zertifizierungsaudit …
Gestern im externen Audit
Nach dem Begutachten und Hinterfragen einer aktuellen Verfahrensweise kommt der Auditor zum Schluss: „Das macht mir Sorgen…“
Auditierte: „Warum? Erfüllen wir hier die Norm nicht? “
Auditor: „Hhmmm… Ich überlege gerade, welche Probleme daraus unter Umständen für Sie entstehen könnten… Was meinen Sie?“
Eine Auditfrage, die zu denken gibt
An dieser Stelle hat der Auditor sich nicht verführen lassen, einer Normabweichung zuzustimmen und dem vermeintlichen Druck der DIN ISO den Rest zu überlassen. Genauso wenig hat er gleich mögliche Lösungsvorschläge andiskutiert.
Warum? Es war unübersehbar, dass die Befragte das Problematische an der eigenen Vorgehensweise nicht erkennen konnte. War es überhaupt ein Problem? Könnte ein Nicht-Handeln negative Konsequenzen haben? Wurden Chancen verschenkt? Oder gab es gute Gründe, anders zu handeln?
Gemäß der „Erkenntnistreppe“, die mein Gesprächspartner – wie er mir freudestrahlend berichtete – aus meinem letzten Blog-Artikel „mitgenommen“ hatte, befanden sich die Auditierte und ihr Gegenüber auf sehr unterschiedlichen Stufen der Erkenntnis. Die Befragte sah weder ein Problem im eigenen Vorgehen, noch hatte sie über seine Bedeutung für das Unternehmen nachgedacht.
Folglich fand sich auch wenig Bereitschaft, aktiv zu werden!
Was wirkungsvolles Fragen ausmacht
Die Fragestellung der Auditors an dieser Stelle könnte man aus Sicht eines Coaches als gekonnte Intervention interpretieren. Sie ermöglichte nicht nur den fruchtbaren Informationsaustausch. Sie verhalf der Auditierten auch dazu nach- und vorauszudenken, wofür im Alltag viel zu oft die Zeit fehlt.
Um die verschiedenen Facetten zu verdeutlichen, greife ich in die Werkzeugkiste systemischer Coaches und Berater:
Zunächst ist klar: Es bringt nichts, die unterschiedlichen Positionen (Normabweichung – ja oder nein) zu zementieren. Wahrnehmungen und Bewertungen ein- und derselben Situation erfolgen bei verschiedenen Menschen aus den unterschiedlichsten Perspektiven (#Konstruktivismus, s.u.). Diese basieren auf den individuellen Lebensläufen und Erfahrungen, machen einen Austausch interessant und eine Einigung darauf, „wer Recht hat“ oft zu einer unsinnigen Zeitverschwendung. So hat sich unser Zertifizierer gleich zu Beginn der Situation auf die Perspektive des Gegenübers eingelassen, denn er argumentiert aus der Sicht des Unternehmens und der möglichen Konsequenzen für das Unternehmen.
Zudem hat die weiterführende Frage „Was denken Sie?“ Interesse und Bereitschaft gezeigt, das Gegenüber und seine unternehmensbezogene Expertise ernst zu nehmen. Hier lebt kein allwissender Auditor seine institutionelle Macht (#Macht und Status) aus. Vielmehr führt ein interessierter Unternehmensfremder (mit seiner besonderen Expertise) ein Gespräch auf Augenhöhe. Schließlich kann es durchaus sein, dass zur endgültigen Einschätzung der Situation noch wichtige interne Informationen fehlen. Diese Signale entsprechen nicht denen eines typischen „Prüfers“, machen den Auditor sympathisch und zum Gleichgesinnten auf gemeinsamer Mission.
Auf diese Weise wurde in der beschriebenen Situation ein gemeinsames Nachdenken und Erkunden denkbarer Szenarien möglich (übrigens von der ISO 9001 als „risikobasiertes Denken“ deklariert). Und das führte nicht nur zu einem gemeinsamen Problemverständnis, sondern auch zur Bereitschaft, eine Lösung zu finden und umzusetzen. Ganz ohne Verweis auf die Norm – und trotzdem in ihrem Sinne!
Lernen ist erlaubt – auch im Audit!
Links und Verweise
Schönes Erklärvideo auf youtube zum „Konstruktivismus“: https://www.youtube.com/watch?v=J4-Wk3aCcY8
Bilder-Nachweis
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An dieser Stelle hat der Auditor Glück gehabt, an eine KollegIn geraten zu sein, die sich auf dieses Angebot zur Lösungsfindung auf Augenhöhe eingelassen hat. Ich kann mir allerdings auch vorstellen, dass jemand in dieser Situation eine Bedrohung für sich sieht und abblockt. So nach dem Motto: „Hm, das macht mir sorgen…?“ „Wieso?“ „Ich überlege welche Probleme für das Unternehmen daraus entstehen können.. was denken Sie?“ „Wie… Probleme…? Ich sehe da kein Problem und es hat in der Vergangenheit auch keine verursacht!“ –> In dieser Form müsste der Auditor schon irgendwie in Richtung möglicher Probleme hindeuten – und das geht dann gleich wieder in Richtung „der Auditor sieht Probleme, wo der Mitarbeiter bisher keine hat“. Ich kann mir vorstellen, dass man verunsichert ist, wenn ein Auditor vage Andeutungen macht und man wirklich keine Ahnung hat, wo das Problem sein soll. Und da ist man dann schnell wieder im Standard-Szenario mit Machtgefälle und Rechtfertigungsdruck.
Hallo Herr Schlemko (schöner Name ;), vielen Dank für das ergänzende Szenario! Auch diese Reaktion ist möglich und da spielen sicher eine Menge Einflussfaktoren eine Rolle: Welchen Stellenwert und welchen Zweck haben Audits in dem Unternehmen? Wie war bislang die Zusammenarbeit mit den Auditoren? Wie steht der betreffende Bereich und seine Führung im Unternehmen da? Ist er in den vergangenden Audits schon negativ aufgefallen? Wie ist die Fehler- bzw. besser: Lernkultur im Unternehmen? …
Aus meiner Sicht wesentlich ist: Haben Auditor und Auditierte das gleiche Ziel? Geht es wirklich darum, Qualität, Schutz, Sicherheit u.ä. zu verbessern? Dann sollte es eine gemeinsame Basis für die Diskussion geben.
Und dann ist es natürlich auch eine Frage der Haltung und Kommunikation, oder? Der Auditor kennt das Unternehmen und seine Kontexte im Zweifel nicht so gut wie der Auditierte. Werden seine Andeutungen als Hypothesen und Fragen formuliert, kann sich das Gegenüber auf einen gemeinsamen Nachdenkprozess (und ggf. Lernprozess) einlassen, dessen Ende offen ist. Sind die Andeutungen eher Hinweise auf die „wahre“ oder „richtige“ Sicht der Dinge, haben wir natürlich auch keine Augenhöhe mehr. Dann ergibt sich das von Ihnen beschriebene Machtgefälle, das auf nur einen „Gewinner“ hinausläuft und das entsprechende Reaktionen herausfordert…