Eine Kundin berichtet, dass gerade externe 9001-Audits in den Standorten durchgeführt wurden. Auf meine Frage: „Und wie war´s?“ kommt nach kurzem Nachdenken: „Naja – es gab wieder etliche Punkte, bei denen wir nicht zusammengekommen sind… Ich bin wirklich gespannt auf den Bericht.“ Ich möchte Genaueres wissen und bitte sie um ein Beispiel:
Stein des Anstoßes war ein Gesprächsprotokoll, das „hätte geschrieben werden müssen“. Auf ihre Frage hin, warum, antworte der Auditor:

„Das schreibt die Norm vor!“  

Die Kundin gab nicht auf und fragte nach: Wozu es denn gut sein solle, das Protokoll. Daraufhin fällt dem Auditor eine andere Sache auf und er wechselt das Thema….

Die Rolle des „Prüfers“ ablegen?

Der Frust ist verständlich! Viele Norm-Akteure setzen sich derzeit mit Internen Audits und ihren wünschenswerten Effekten auseinander. Auch in diesem Unternehmen hatte sich die Runde der Internen Auditoren in einem Workshop mit Fragen nach der Rolle und dem Auftrag in den Audits auseinandergesetzt und intensiv darüber diskutiert, was anders und besser gemacht werden könnte.

In solchen Workshops oder Auditorenschulungen wird i.d.R. schnell deutlich, dass kaum ein Auditor die Rolle des „Prüfers“ mag. Autoritäre Fehlersuche und -bewertung macht keiner Seite Spaß und bringt das Unternehmen nicht wirklich weiter. Echte Leidenschaft kommt dann auf, wenn im Audit Gesprächssituationen entstehen, in denen wirklicher Austausch stattfindet und Neues entsteht …. Neues, das so viel Energie freisetzt, das die Beteiligten die Lösungen am liebsten gleich weiterverfolgen würden, ohne auf den Bericht zu warten. (Ich kann mich an so einige externe und interne Auditsituationen erinnern, in denen Beteiligte schon vor Ende des Audittages stolz die ersten Schritte der Umsetzung vermeldet haben… – Und nein, hier ging es nicht darum, eine Feststellung aus dem Bericht zu eleminieren ;-))

Das folgende Modell (in meinem Buch ausführlich beschrieben) macht deutlich, wie so ein Gesprächsraum geöffnet wird und welche Schritte hier gemeinsam durchlaufen werden können, um auseinandergehende Auffassungen zusammenzuführen.

Stufenweise Übereinstimmung

Das Auditgespräch ist wie eine kurze gemeinsame Reise. Gut ist es, wenn alle am gemeinsamen Ziel ankommen und niemand unterwegs aussteigt.

Die Reise führt über eine Treppe mit verschiedenen Erkenntnisstufen. Jede Stufe hat zum Ziel, eine gemeinsame Sicht auf die Dinge zu entwickeln. Erst dann geht es gemeinsam weiter. Das jedeR gern eine eigene Sicht auf die Dinge hat, ist nur zu natürlich. Schließlich treffen unterschiedliche Erfahrungen und Expertisen aufeinander. Die Dinge durch die Augen eines anderen zu sehen, ist deshalb nicht immer ganz einfach. Verständnistreppe

Ein guter Reise- bzw. Gesprächsleiter achtet deshalb auf „Anschlussfähigkeit“, wenn es darum geht, mit anderen über Beobachtungen, mögliche Probleme, Fehler, Abweichungen oder Verbesserungspotential zu sprechen.

Diese lässt sich vereinfacht auf vier Stufen reduzieren, die sich auf folgende Fragestellungen konzentrieren:

  1. Wahrnehmen und Erkennen des vermeintlichen Problems,
  2. Bewertung des Problems und
  3. seiner Zusammenhänge und damit der Lösbarkeit/Änderbarkeit sowie die
  4. Beurteilung und Aufteilung der „Einsatz-Kräfte“.

So kann Stufe für Stufe ein Austausch stattfinden, der eine gemeinsame und umfassendere Sicht auf die Dinge ermöglicht.

Vorsicht – Ausstieg!

Ein Aus- oder Abstieg – wie in unserem Einstiegsbeispiel – ist auf folgenden Teilstrecken möglich:

  1. Auf dem Teilstück der Problembetrachtung: „ICH hab kein Problem.“
  2. Auf dem Teilstück der Problembewertung: „So wichtig ist das aber wirklich nicht!“ „Ich habe Wichtigeres zu tun!“
  3. Auf dem Teilstück generellen Lösungsmöglichkeiten: „Da lässt sich nichts machen.“ „Das hat keinen Zweck.“ „Haben wir alles schon versucht..“
  4. Auf dem Teilstück des eigenen Engagements: „Das kann ich nicht.“ „Das schaff ich nicht.“

In unserem Audit wollte die Auditierte schon auf der ersten Stufe ausgesteigen. Sie sah kein Problem an der Stelle und brauchte deshalb auch keine Lösung (das geforderte Protokoll).

Sie blieb allerdings dabei und versuchte, die Sicht des Auditors besser nachvollziehen zu können. Mit der Frage nach dem „warum“ und „wozu“ wollte sie einen „guten Grund“, einen zusätzlichen Nutzen für das Unternehmen (oder seine Kunden) erkennen. Hier stieg dann der Auditor aus. Die kleine Reise endete in der Sackgasse. Gemeinsam Reisen ist eben nicht so einfach…

Links und Verweise

Das Modell der Verständnistreppe stammt ursprünglich von: Caspari, Sabine; Schmid, Bernd (1998). Dort wird es als  „Ebenen der Wirklichkeitsbegegnung“ bezeichnet. Nr. 29 im Schriften­verzeichnis des Instituts für Systemische Professionalität, Wiesloch 1998, Stand 2003

Die Norm DIN ISO 19011-2018 zu diesem Thema: 

4.8 Erarbeiten von Auditfeststellungen

(..) „Nichtkonformitäten können je nach Kontext der Organisation und deren Risiken klassifiziert werden. Diese Klassifizierung kann quantitativ (z. B. 1 bis 5) und qualitativ (z. B. unbedeutend, bedeutend) sein. Sie sollten gemeinsam mit der auditierten Organisation überprüft werden, um die Bestätigung dafür zu erhalten, dass die Auditnachweise genau sind und dass die Nichtkonformitäten verstanden werden. Es sollten alle Anstrengungen unternommen werden, um auseinandergehende Auffassungen zu den Auditnachweisen oder Auditfeststellungen auszuräumen. Nicht ausgeräumte Punkte sollten im Auditbericht aufgezeichnet werden.“

6.4.10 Durchführen der Abschlussbesprechung

„Soweit angemessen, sollte gegenüber der auditierten Organisation in der Abschlussbesprechung Folgendes erklärt werden: (..)

e) Darstellung der Auditfeststellungen und -schlussfolgerungen derart, dass sie verstanden und von der Leitung der auditierten Organisation anerkannt werden; (…)

Alle auseinandergehenden Meinungen bezüglich der Auditfeststellungen oder -schlussfolgerungen zwischen dem Auditteam und der auditierten Organisation sollten besprochen und, wenn möglich, geklärt werden. Falls keine Klärung zustande kommt, sollte dies aufgezeichnet werden.“

Bilder-Nachweis
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Mehr zu „gemeinsamem Verständnis“, den richtigen Fragen dahin und anderen Grundlagen zu Kommunikation in Führung und Zusammenarbeit (auch in Audits ;-)) finden sich hier: (Link zum pdf-Auszug mit Inhaltsverzeichnis auf der Seite des Verlages). Die obige Grafik ist aus dem entsprechenden Kapitel.