Vollständig lautet der Titel des Buches:
Heute schon einen Prozess optimiert? Das Management frisst seine Mitarbeiter –

Zugegeben, manche Buchtitel triggern etwas in mir. Bei dem neuen Werk von Gunter Dueck wurde ich sofort neugierig. Klingt irgendwie provokant, ironisch… Also gleich mal recherchiert.

Gunter Dueck, den kenne ich doch…

In seinem Amazon-Profil steht u.a.:
„Seine Bücher sind zum größeren Teil philosophisch und ranken sich um sein großes Thema der “artgerechten Haltung des Menschen”. Die nicht artgerechte Haltung geißelt er so herrlich beißend-gallig-satirisch in seinen Büchern …..”

Gunter Dueck war Mathematik-Pofessor an der Universität Bielefeld, dann aber auch bei IBM als Chief Technology Officer tätig. Hier geht es um das neueste Buch (erschienen Febr. 2020) des Querdenkers, den ich auch als kritischen und provokant unterhaltsamen Redner kenne. Ein Mensch, der in seinen Sachbüchern oder Vorträgen eloquent und humorvoll auf den verschiedensten Flughöhen navigiert: Management und Politik, Familie und Privates, Mathematik und Psychologie.

Das aktuelle Thema:

Nach nun einigen Jahrzehnten der maximalen Effizienz haben die Manager und damit die Unternehmen viel an Zukunftsfähigkeit eingebüßt. Denn etwas Anderes oder Neues zu erschaffen ist eine vollkommen andere Aufgabe, als erfolgreiche Produkte oder Dienstleistungen immer schneller und billiger herzustellen oder zu liefern.“ (aus der Einführung des Buches)

Worum geht´s?

Das Buch wendet sich an Manager. Da Managementsysteme diese Zielgruppe allerdings bei ihrer Arbeit eher behindern als unterstützen –  in jedem Fall beeinflussen, könnte das Thema auch für die Managementsystem-Botschafter in Fach- und Stabs-Gewand aufschlussreich sein…. Ich zähle mich übrigens dazu!

Die “Prozessoptimierung” steht dabei stellvertretend für eine verbreitete Managementpraktik: dem Effizienz- und Optimierungskurs, der nicht mehr ganz in die Zeit passt. Es geht also um die Zukunftsfähigkeit unserer Unternehmen und das Risiko, das für den Mensch und Mitarbeiter im Zuge der Digitalisierung wirksam werden könnte…

 „In einem streng optimierten Arbeitsumfeld ist kaum noch „Wandel“ und „Zukunft“ gestaltbar.“ (S. 21)

Gängig Praktiken auch für DIN ISO “Ingenieure”?

Ich habe ein wenig in´s Buch reingelesen und mir das unten eingefügte Video des Kollegen Oliver Ratajczak von Blickwinkel KUNDE angeschaut, in dem Gunter Dueck mit ihm über sein Buch diskutiert. Hier kommen ein paar Auszüge zum Anschmecken (in meinen Worten, wenn nicht ausdrücklich zitiert).

Zwei Strategien, mit Zukunft umzugehen

Zur Frage, wie Unternehmen zukunftsfähig werden, mit Wandel bzw. dem aktuellen Schwerpunkt der Digitalisierung umgehen, serviert Gunter Dueck zwei Strategien:

  1. Ich mache so weiter: schneller, eiliger arbeiten lassen, Arbeitsschritte vereinheitlichen und detailliert vorgeben – Mitarbeitende nichts mehr selbst entscheiden lassen ODER…
  2. Wirklich nachdenken! Neues wagen …

Prozessoptimierung fördert Denkvermeidung

Im Zuge der oberen Weiter-so-Strategie verkümmern Menschen zu “Prozessschnittstellen”, müssen nur noch Arbeitsschritte ausführen und denken nicht mehr nach („McDonaldisierung“).

  • Diese „Verunpersönlichung“ – eine sehr aussagekräftige Wortschöpfung – führt auch dazu, dass menschliche Beziehungen verloren gehen, das Menschliche verkümmert.
  • Wenn man immer nur lokal optimiert, geht die Fähigkeit verloren, über das Ganze nachzudenken.
  • Es geht nur noch um das Einhalten von Regeln, das von der “Qualitätspolizei” überwacht wird.
  • “Qualität ist nicht mehr beliebig schön… alles muss gleich sein.” (Anm.:  statt “Qualität” könnten hier sicher auch Umweltschutz, Arbeitssicherheit u.s.w. stehen)
  • Oft agieren die Mitarbeiter dann – quasi kriminell – in “Grauzonen”, um sinnvoll und wirksam arbeiten zu können. In solchem Stress kann die Zukunft nicht blühen…

Sehr pointiert – und aus meiner Sicht durchaus auch treffend:
Mit den Managementsystemen praktizieren wir zum grossen Teil eine solche “Denke”, trainieren und manifestieren sie…  Wieviel Raum bleibt für das Andere?

Der Anteil der Berater….

Im unten verlinkten Interview (etwa bei 18:50) bekommen auch wir Berater unser Fett ab:
Auch wir sind “immer dabei, alles gleich zu machen” und einheitlich zu machen. Und “die Arbeitsschritte gleich in echte Prozesse zu gießen, anstatt zu gucken, was die Leute eigentlich machen und erst einmal zu fragen, was sie wollen”…

Fördern Managmentsysteme eine solche “Systemneurose”? – Mein persönliches (vorläufiges) Fazit

Auch wenn ich das Buch nicht vollständig gelesen habe: Es polarisiert und regt zum Nachdenken an! Wie Sie sehen…;-)

Viele Gedanken tauchen auch in der “agilen” Diskussion auf. Die Tools und Praktiken dieser Arbeitsweise liefern hilfreiche und erprobte Ansätze, insbesondere auch ein Bewusstsein dafür, dass hochwertige Denkarbeit vieler Köpfe (nicht nur der Manager und Führungskräfte) entsprechende Rahmenbedingungen braucht.

Standardisierte Prozesse und die Methoden haben auch in Zukunft ihre Berechtigung – gerade wenn es um Risikominimierung und Sicherheit geht. Allerdings darf das Ganze nicht dazu führen, Tunnelblick und Schema F zu glorifizieren. Zum SOWOHL muss ein ALS AUCH kommen.

Und das war ja eigentlich mit pdca und KVP immer schon da. Allerdings sind die Räume für freies Denken, Reflektieren und Lernen in unseren Managementsystemen dünn gesät. “Ritualisiserung” gibt es sicher nicht nur in den Audits…

Hier das Interview eines Kollegen mit Gunter Dueck zum neuen Buch auf Youtube

Links und Verweise

Hier das Werk auf der Seite des Verlages: Heute schon einen Prozess optimiert?

Der Youtube-Kanal von Oliver Ratajczak (Blickwinkel KUNDE)

Bilder-Nachweis
ergänzende Bilder von Pixabay