Kürzlich las ich den Artikel einer Kollegin über ein 9001- Audit in einem Klinikum. Es geht um Checklisten und ist ein wunderbares Beispiel für  „dokumentiertes Theater“, das in so manchem Managementsystem gespielt wird.

Hier wurde wirklich gelernt…

Ein ganz normales Audit…

Beim Dokumentencheck fand sich eine „Aufwachraum-Checkliste“: Volle vier Seiten, jeden Tag auszufüllen und abzuheften…. Inhaltlich deckte die Liste die vollständige Organisation des Aufwachraums ab bis hin zum An- und Abstellen der Heizung und dem abendlichen Ausschalten der Beleuchtung.

Im anschließenden Gespräch mit der jungen und engagierten Mitarbeiterin kam die Frage auf, wie sie es schaffen würde, diese umfangreiche Checkliste täglich auszufüllen und abzuheften. Offensichtlich lag ein vertrauensvolles Auditklima vor, denn die Kollegin öffnete die Schublade und  kommentierte lächelnd: „Kein Problem!“ In der Schubladen fand sich ein Stapel bereits ausgefüllter Aufwachraum-Checklisten für die kommenden vier Wochen. Sogar die wechselnde Stiftfarbe war bedacht….

Ob die Punkte auf der Liste denn auch ohne das Hilfsdokument gewissenhaft erledigt würden, interessierte sich die Auditorin? Antwort (O-Ton):

„Klar. Wir sind doch nicht doof.“

Auf Nachfrage stellte sich heraus, dass die Forderung von der zuständigen QM-Beauftragten kam. Diese hatte den Grundsatz, dass im QM alles im Detail geregelt wird. So könne dann auch jemand von der Straße kommen und bei ihnen anfangen…

(Verkürzt dargestellt  – der vollständige Blogartikel ist unten verlinkt).

Warum erzähle ich diese Geschichte?

Weil hier eine Auditorin im Audit die richtigen Fragen stellt, um einen Lern- und Bewusstseinsprozess in Gang zu setzen. Hier kann und darf der betroffene Bereich (und der QMB) darüber nachdenken, was genau das Ziel der Checkliste ist, und ob das Hilfsdokument in der vorgeschriebenen Verwendung tatsächlich hilft.

Keine Frage: Ausführliche Checklisten bündeln und bewahren Wissen! Ggf. ist dieses Wissen allerdings beim Ausführenden auch ganz selbstverständlich vorhanden und muss nicht bei jedem Arbeitsdurchgang von einer Checkliste begleitet werden. Eine Basis-Kompetenz ist durch die Berufsausbildung gegeben und Selbstverständlichkeiten anzukreuzen hinterfragt diese misstrauisch. Eine Botschaft, die vielleicht gar nicht gewollt ist?

Und nun?

Ein wichtiger Impuls der Autorin/Auditorin war in jedem Fall: „Die QM-Dokumentation soll auf der Ausbildung der Menschen auf-setzen, nicht diese er-setzen.“

Und das „Auf-setzen“ kann ganz unterschiedlichen Zwecken dienen (Achtung: hier kommt der „Sinn“ in´s Spiel ;-),

z.B.:

  • Es hilft Routineabläufe abzustimmen und zu standardisieren und so Orientierung zu geben, wie etwas im Idealfall zu tun ist.
  • Als „Erinnerungshilfe“ erleichtert es (bei Bedarf) den Arbeitsablauf.
  • Es macht die Arbeitsteilung und Verfahrensweisen – insbesondere bei rechts- und risikorelevanten Aktivitäten – transparent.  (Organisationsverpflichtung/Delegation z.B. in Umweltschutz und Arbeitssicherheit).
  • Die Umsetzung ist nachweisbar und rück-verfolgbar (z. B. bei Ein- und Unterweisungen oder Checks und Prüfungen), was sich insbesondere bei riskanten und/oder (rechts-)relevanten Aufgaben empfiehlt.

Vielleicht ist hier auch tatsächlich einmal etwas grandios in die Hose gegangen?

Gern werden schriftliche Vorgabedokumente (oder -prozesse) in Managementsystemen dann als Allheilmittel betrachtet….
Hier könnte ein gemeinsames Reflektieren und Hinterfragen eher helfen! Zum Beispiel mit der Frage: Was hat dazu beigetragen, dass es so passieren konnte?
Und dann stellt sich ggf. heraus, dass das Wissen durchaus vorhanden war – allerdings die Zeit fehlte…[

Ganz nebenbei: Was Organisationssoziologen dazu sagen

Das obige Verhalten der Mitarbeiterin ist übrigens ein wunderbares Beispiel dafür, wie mitdenkende und kreative Mitarbeitende mit unsinnigen Regeln umgehen….  Ein Phänomen, dass Organisationssoziologen „brauchbare Illegalität“ nennen (u.a. Stefan Kühl).

Diesem Einsatz ist es zu verdanken, dass in so manchem Unternehmen die „eigentliche“ wertschöpfende Arbeit nicht zu kurz kommt. Leider wird er selten gewürdigt – trägt vielmehr oft das Prädikat „Regelbruch“ und „Fehler“.

In jedem Fall ist „brauchbare Illegalität“ ein Phänomen, das im Audit wunderbar genutzt werden kann, Managementsysteme besser und wirksamer zu machen…

 

Links & Verweise

Der Artikel der Kollegin Gabriele Schuster findet sich im Ärzteblatt (https://www.aerzteblatt.de/archiv/187927/Dokumentation-QM-funktioniert-nur-wenn-es-Spass-macht-und-hilft)

Bild von Bruno /Germany auf Pixabay

Cartoon von Iris Zerger aus meinem Fachbuch.

Hier finden sich auch mehr Details und Hintergrundwissen zu unsinnigen Dokumenten und Vorgaben – insb. unter „Denken und Handeln im Unternehmen verstehen“  (Kap. 08).  Hier gehe ich auch darauf ein, warum unzweckmäßige und aufgeblähte (Vorgabe-)Dokumentation zum Risiko werden kann (Kap. 8.2).
Gabriele Schuster spricht in ihrem Beitrag hier von einem „Sekundärrisiko“ (Ein Sekundärrisiko ist ein Risiko, das durch die Implementierung einer Risikopräventionsmaßnahme entsteht.)
Schauen Sie doch mal rein 😉

(Link zum pdf-Auszug auf der Seite des Verlages)